Über Wahrnehmen, Fühlen und Aufklären
wie – und vor allem ab wann – kommt eigentlich “der SEx” in den menschen?
Dies ist eine Frage, die oft und gerne tabuisiert und mystifiziert wird. Die Arbeit und der Umgang mit derartigen Tabu-Themen und althergebrachten Mythen rund um den vielfältigen Themenbereich „Sexualität“, ist für uns Sexualpädagog*innen und Sexualberater*innen jedoch so normal und selbstverständlich, wie das tägliche Zähneputzen.
Es ist im Grunde ganz einfach! Sexualität ist integraler Bestandteil jedes Menschen. Wir Menschen sind sexuelle Wesen, von Geburt an – und wenn man es ganz genau nimmt- sogar schon vorgeburtlich. Menschliche Sexualität ist von Anfang an da, von der Geburt bis zum Tode. Erstaunlich ist, wie sie sich im Laufe des Lebens verändert und wie unterschiedlich sie sich in den jeweiligen Entwicklungsphasen (Kind – Jugend – Erwachsenenalter) zeigen kann. Von der Wiege bis zur Bahre – tatsächlich!
Sprechen wir in der Sexualpädagogik von kindlicher Sexualität, so sind hauptsächlich körperliche (Sinnes)Erfahrungen gemeint, die Kinder selbstständig und spielerisch machen. Wichtig ist zu wissen, dass diese deutlich von der Erwachsenensexualität abzugrenzen sind! So sind zum Beispiel bereits beim Säugling alle Nervenenden, auch jene der Genitalien, vorgeburtlich voll angelegt und funktionstüchtig und sprießen nicht erst – wie manche vermuten – während der Pubertät.
wahrnehmen
Bereits im Kleinkindalter kann der Mensch, egal welchem Geschlecht er angehört, genitale Körperlust verspüren, beispielsweise durch die Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur, durch selbstausgeübte Druck- oder Reibreize auf Penis und Vulva oder auch durch direkte Selbstberührung. Diese Selbstberührung im Zuge der Entdeckung/Erkundung der eigenen Körperlandschaft ist zum einen wichtig, um ein Körper-Selbstbild zu erlangen und zum anderen auch, dass wir unseren Körper (inklusive Genitalien) gut spüren können und feinfühlig bleiben. Bereits der kleine Mensch berührt sich gerne – sofern er die Möglichkeit hat, am ganzen Körper – und das ist gut so!
Im Zuge meiner Praxiserfahrungen als Sexualberaterin habe ich immer wieder Kontakt zu Frauen, welche einen erhöhten Leidensdruck in ihrer gelebten Sexualität haben. Oft ist ihnen eine Erotisierung ihres Genitals nur schwer möglich und eine lustvolle Wahrnehmung eben dessen, nicht mehr gegeben. „Ich spüre da unten nix…!“ ist eine mehrmals gehörte Aussage in meinen Sexualberatungen. Die Selbstberührung, als natürlich gelebte Intervention, stellt daher auch gleichzeitig eine Prävention dar. Nur wenn frau sich selbst berührt, egal ob als kleines Kind, als Mädchen, als heranwachsende junge Frau oder als erwachsene Frau – bleiben entsprechende Körperregionen auch feinfühlig. Die bewusste und achtsame Selbstberührung sollte ein wichtiger Bestandteil unseres Alltags sein, um unsere Körperwahrnehmung zu schärfen und unsere Sexualleben zu bereichern.
aufklären
Zudem erlangte ich durch meine sexualpädagogischen Beratungen und Workshops mit jugendlichen Mädchen die Erkenntnis, dass der Aufklärung und Begleitung der hormonell-körperlichen Veränderungen in der (Vor)Pubertät eine ganz besondere Bedeutung zukommt. So ist es mir immer ein Anliegen, offensichtlich schambehaftete Themen wie Menstruation und die Anatomie des weiblichen Genitals besprechbar zu machen. Einen Raum zu schaffen, in dem Mythen und Glaubenssätze aufgebrochen werden, scheint 2024 notwendiger denn je.
Denn: obwohl das Internet den Heranwachsenden Allwissenheit bezüglich der Informationen rund um das Thema Sexualität vorgaukelt, prägen immer noch Mythen wie „Ein Jungfernhäutchen muss reißen beim ersten Mal..!“ die Entwicklung in der Adoleszenz. Das Wissen mit Bio-Facts statt Fake-News zu erweitern, kann Ängste bei jungen Frauen abbauen und sie in ihrer sexuellen Selbstsicherheit stärken.
fühlen
Sich in seinem Körper wohlzufühlen, bedingt auch selbst einen wohlwollenden Blick darauf zu haben. Viele (junge) Frauen taxieren ihren Körperund werten ihn ab. Wie kann ich als Frau einen lustvollen Zugang zu Sexualität leben, wenn ich kein Körper-Selbst-BEWUSST-Sein aufweise? Hierzu können auch Bücher für (junge) Frauen zur Steigerung des Körperbewusstseins und Selbstakzeptanz herangezogen werden, wie zum Beispiel:
Buchempfehlungen:
„Liebe deinen Körper“ , Jessica Sanders
„Alle Körper sind toll!“, Tyler Feder
„Das Body-Confidence Buch”, Dr. Philippa Diedrichs
Denn jeder Körper ist ein guter Körper. Diesen Satz als Haltung zu verinnerlichen und nach außen zu tragen, sehe ich als eine meiner Kernaufgaben in meiner beruflichen Tätigkeit, egal ob mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen.
Über die Referentin
Sigird Hahn
Dipl. Sozialpädagogin, Sexualpädagogin, Sexualberaterin und Lebens- und Sozialberaterin